Positionspapier zur Bedeutung und notwendigen Sicherung von rechtlichen Grundlagen für Gemeinschaftsgärten
Aus dem aktuellem Anlass, dass ein weiterer Gemeinschaftsgarten in Innsbruck demnächst seine Fläche verliert [i], werden in dieser Stellungnahme soziale und ökologische Bedeutung (1), die unzufrieden stellende Realität in der Grundstücksfrage (2) und Forderungen zur Sicherung von Gemeinschaftsgärten in Tirol (3) dargestellt.
1.
Gemeinschaftsgärten erfüllen eine Reihe von sozialen, ökologischen sowie bildungs- und ernährungspolitischen Funktionen. Speziell in interkulturellen Gartenprojekten erfahren Menschen mit Fluchterfahrung nach Heimatverlust einen sinnstiftenden Austausch und die Möglichkeit zu neuer Verwurzelung und Identifikation mit dem neuen Lebensort. Sie dienen als Begegnungs- und Erfahrungsräume, die zu Integration und ressourcenorientiertem, friedlichem Zusammenleben beitragen. Generationsübergreifendes Lernen von- und miteinander von Kompetenzen der Selbstorganisation, über nachhaltige Lebensstile genauso wie die Möglichkeit des Anbaus eigener Lebensmittel, vermitteln Selbstwirksamkeit und Unabhängigkeit. Die ökologische Wirksamkeit von Gemeinschaftsgärten zeigt sich in der aktiven Pflege der Böden durch Humusaufbau, dem Schutz von Lebensräumen für Insekten und Vögel und der vielfältigen Bepflanzung.
2.
Gemeinschaftsgärten benötigen möglichst langfristig verfügbare unversiegelte Grundstücke/ Grünflächen. Insbesondere im urbanen Raum stellen diese eine Mangelware dar - unverbauter Boden steht unter enormem Verbauungsdruckaufgrund des akuten Wohnungsmangels. Daher erfolgt die Gründung von Gemeinschaftsgärten oft als Zwischennutzung von Bracheflächen. Rechtlich muss dafür trotzdem meist ein Miet-/ Pachtverträge in Form eines „Prekarium“(Bittleihvertrag) akzeptiert werden. Diese Flächen bedeuten für GemeinschaftsgärtnerInnen eine Startchance – und bringen Städten bzw. Gemeinden in weiterer Folge ökosoziale Vorzeigeprojekte. Wenn auch nur für begrenzte Zeit entstehen an diesen Orten für die teilnehmenden Gärtner*innen oft wahre urbane Grünoasen, die als Rückzugsort aus den grauen und in den Sommermonaten oft überhitzten Wohnanlagen dankbar genützt werden. Der Verlust dieser heimatlichen Orte (wie er derzeit den Mitgliedern des Interkulturellen Gemeinschaftsgartens Wilten bevorsteht) wird als sehr schmerzlich empfunden.
Die mit ehrenamtlicherengagierter Handarbeit errichteten Gemeinschaftsgärten müssen u.U. oft schon nach wenigen Jahren weichen bzw. auch „umziehen“ (zuletzt in Innsbruck etwa das innsGART’l [ii]). Letzteres für den Fall, dass ein Gemeinschaftsgarten ein Ersatzgrundstück angeboten bekommt. „Umziehen“ oder „Übersiedelung“ sind jedoch wenig zutreffende Begriffe, da man weder den über Jahre bearbeiteten Boden sowie verwurzelte Pflanzen/Beerensträucher/Kräuter/Bäume, noch die persönliche Beziehung zum Garten, die über die Jahre gewachsen ist, übersiedeln kann. Da die Gärtner*innen von Gemeinschaftsgärten oft in unmittelbarer Nähe zum Garten wohnen, bedeutet ein neuer Standort oft das Ende der gärtnerischen Tätigkeit und das Zerbrechen der Gartengemeinschaft mit dem aufgebauten Vertrauen und der organisatorischen Struktur. Die unzähligen ehrenamtlichen Arbeitsstunden, die in den Aufbau des Gartens und v.a. auch des Bodens gesteckt wurden, sind meist verloren. Der Aufbau eines neuen Gartens bringt erneut arbeits- und kostenintensive Herausforderungen mit sich.
3.
Um diese sowohl ökologisch als auch sozial unbefriedigende Situation zu verbessern sind folgende Überlegungen im Rahmen des städteplanerischen und raumordnungspolitischen Prozesses wünschenswert:
· Erhebung welche Grundstücke (im städtischen und ländlichen Bereich) sich für Gemeinschaftsgärten eignen und Ausweisung als Vorbehaltsflächen/Freihalteflächen(ÖROK) z.B. auch im städtischen Wohnbau
· Politische Anerkennung der Leistung von Gemeinschaftsgärten im Hinblick auf die erfolgte ökologische Aufwertung und klimarelevante Leistungen (Biodiversität, CO2-Speicher, Kühlung, lokaler Lebensmittelanbau…)
· Schaffung einer eigenen raumordnungsrechtlichen Kategorie für Gemeinschaftsgärten (z.B. „Gemeinschaftsgarten“ oder auch „Essbare Landschaft“ als Sonderfläche laut §43 TROG 2016 mit entsprechenden Widmungszielen und -möglichkeiten [iii] )
· Vertraglich langfristige Absicherung von für Gemeinschaftsgärten zur Verfügung gestellten Grundstücken (Musterverträge)
· Grundsteuererleichtertungenfür EigentümerInnen von Flächen, die für Gemeinschaftsgärten zur Verfügung gestellt werden
· Einplanung der Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Bewirtschaftung einer entsprechenden Grünfläche bei neuen Wohnbauprojekten von Beginn an (Planungs-/Architektenwettbewerb)
· Bestmögliche Integration der ökologischen und sozialen Errungenschaften eines Gemeinschaftsgartens auf einer Zwischennutzungsfläche in ein folgendes Bauprojekt (durch Erhaltung von Baum- und Strauchbestand, unversiegelten Flächen, Gemeinschaftsgarten).
Wir sind aus eigener Erfahrung und vor dem Hintergrund der hier dargestellten Argumente überzeugt, dass (interkulturelle) Gemeinschaftsgärten einen wesentlichen Anteil zur Lebensqualität insbesondere zu einem guten gesellschaftlichen Miteinander beitragen, sowie wertvolle Grünflächen als ökologische Reservoirs erhalten und sogar aufwerten.
Deshalb fordern wir alle Flächeneigentümer*innen, Politiker*innen und an Raumnutzungsprozessen Beteiligten auf, sich für die Erarbeitung planerischer Grundlagen für Gemeinschaftsgartenflächen und im Idealfall den Erhalt bestehender Gemeinschaftsgartenflächen einzusetzen. Wir fordern, dass die Leistungen jahrelangen Aufbaus und jahrelanger Bearbeitung von Gemeinschaftsgärten anerkannt werden.
4.11.2020 verfasst von
Tiroler Bildungsforum/ Servicestelle Gemeinschaftsgärten &
Verein Initiative Ernährungsrat Innsbruck
[i] Der Interkulturelle Gemeinschaftsgarten Wilten wurde im Jahr 2009 als erster Gemeinschaftsgarten in Innsbruck mit großem sozial integrativem Anspruch auf einer Fläche des Stift Wilten gegründet. Der Garten hat eine Größe von 2600 m² und wird jedes Jahr von 70 bis 100 Personen genutzt. In der Anfangsphase erleichterten Förderungen von nationaler Ebene und der EU den organisatorischen Aufbau und die Beschaffung von Material; kleinere Finanzierungen von Stadt und Land folgten für Veranstaltungen. Seit zwei Jahren trägt der Gartenverein die Koordination ehrenamtlich selbst. Der Garten dient in den vielen Jahren seines Bestehens immer wieder als Vorzeigebeispiel gelebter Integration, bürgerschaftlichen Engagements in der Stadt sowie ökologisch angepassten, städtischen Gartelns (urban gardening) in Innsbruck. In Innsbruck, wo Wohnraum immer wieder eine umstrittene Ressource darstellt und zentrale, gut mit öffentlichem Verkehr erreichbare Grünflächen im Talboden rar sind, ist der Interkulturelle Garten Wilten einmal mehr eine Besonderheit. Er bietet barrierefreien und niederschwelligen Zugang für Menschen aller Mobilitätsmöglichkeiten zu Fuß, mit Fahrrad oder ÖPNV. Jedes Jahr haben zahlreiche Gruppen aus Innsbruck, Österreich und auch International den Garten besucht und sich durch das Beispiel inspirieren lassen. Der Garten war Praxispartner in Forschungsprojekten zur Weiterentwicklung des interkulturellen Gartenwesens zuletzt im Projekt UGAIN (https://learning.ugain.eu).
Demnächst muss der Interkulturelle Gemeinschaftsgarten Wilten aufgrund von Eigenbedarf des Stifts Wilten für Bauzwecke weichen. Dass eine Kündigung des Bittleihvertrages mittelfristig bevorsteht, wurde von Anfang an kommuniziert. Im Sommer 2020 wurde die Räumung des Geländes frühestens im Herbst 2021 durch das Stift angekündigt und eine vorbereitete, aber schwer erreichbare Ersatzgartenfläche am Mentlberg in Aussicht gestellt.
[ii] Der Verein Freipflanzen hat den größten Gemeinschaftsgarten in Innsbruck „innsGART’l“ 2014 am Langen Weg in Innsbruck mit Beetflächen für 160 Mitglieder gegründet, die stets vergeben werden konnten. Aufgrund des Bauvorhabens Campagne-Reiter-Areal musste der Gemeinschaftsgarten 2017 auf einer Ausweichfläche neu gegründet werden: „innsNeueGART’l“ (am Paschbergweg) entstand. Die Gestaltung des Gesamtareals, das ja in klassischen Gemeinschaftsgärten nicht nur in privat vergebene Beetflächen aufgeteilt wird, und die neuerliche Organisation des Projektes waren nötig. Wiederum ist keine langfristige Nutzung der Fläche abgesichert, sondern nach Ablauf von drei Jahren eine jährliche Kündigung seitens der Stadt Innsbruck möglich.
Engagierte Mitglieder aus der Nachbarschaft des ersten Gartens in der Reichenau konnten weitere kurzzeitige Nutzungsvereinbarungen einer kleineren Fläche auch dort weiterhin erreichen. Für den Vereinsvorstand bedeutet die Organisation von zwei Gemeinschaftsgärten mit fast 250 Mitgliedern eine enorme Herausforderung.
[iii] Die Flächenwidmung bei aktuell genutzten Flächen für Gemeinschaftsgärten ist maßgeblich ausschlaggebend für die Möglichkeit der längerfristigen Nutzung und die Errichtung einer Basisinfrastruktur in den Gärten. Der Gemeinschaftsgarten „Bunte Daumen Kufstein“, der 2016 als Integrationsprojekt mit geflüchteten Menschen entstanden ist, bekam von privater Seite ein Grundstück langfristig zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Widmung als landwirtschaftliche Freihaltefläche ist jedoch keine dauerhafte Nutzung als Gemeinschaftsgarten erlaubt und es dürfen keine baulichen Anlagen (Werkzeugschuppen) errichtet werden. Dem Verein „Kufstein hilft“ droht daher im nächsten Jahr - nach fünfjähriger Nutzung - die Beendigung des Gartenprojektes.