Räume lebendiger Demokratie, lehrreicher Begegnungen und Entfaltung

Eine Zusammenschau von A. Fritsche, Ch. Stoik und H. Mayrhofer

Erträge von Gemeinschaftsgärten sind vielfältig. In ihnen wird nicht nur Gemüse geerntet, sondern auch Demokratie gelebt. Gemeinschaftliches Gärtnern hat das Potenzial, Vorurteile abzubauen und Stereotypen zu reflektieren. Als Begegnungs-, Bildungs- und Freiräume gestalten sie das Gemeinwesen mit und entfalten somit auf unterschiedlichen Ebenen Wirkungen.

Die Studie: Wie wirkt Gemeinwesenarbeit?

Das KIRAS-Forschungsprojekt „community work‘s – Gemeinwesenarbeit als Sicherheitsfaktor im öffentlichen Raum: Wirkerkenntnisse und Erfolgsfaktoren“ untersuchte von 2020 bis 2022 empirisch die Wirkweisen unterschiedlicher Ansätze von Gemeinwesenarbeit (GWA) in Österreich*. Unter Gemeinwesenarbeit wird dabei eine ganzheitliche Intervention verstanden, die die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen eines Gemeinwesens zum Ziel hat und demokratische und zivilgesellschaftliche Prozesse fördert. Damit können auch Veränderungen bewirkt werden, die das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen:

Mehr Wissen über bisher „fremde“ Lebenswelten kann Verunsicherungen reduzieren. Erhöhte Handlungskompetenzen und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit erleichtern, wie nachfolgend gezeigt wird, potenziell den Umgang mit Irritationen, die z.B. durch neue Bewohner*innen im direkten Umfeld ausgelöst werden können. Die Förderung von Verantwortungsübernahme bzw. die Bereitschaft zur Mitgestaltung von Räumen sind weitere Aspekte, die Unsicherheiten reduzieren können – Menschen erleben sich dann weniger machtlos und verstärkt als Akteur*innen.

In der Studie wurden auch die Wirkungen von Gemeinschaftsgärten, die als spezifische Ausformung der Gemeinwesenarbeit verstanden werden können, erforscht. Unter anderem wurden Aktivitäten in zwei Gemeinschaftsgärten in Tirol über mehrere Monate begleitet, Gärtner*innen, Nachbar*innen, Gemeindevertreter*innen etc. interviewt und Beobachtungen durchgeführt. Die Analyse der Ergebnisse zeigt die weitreichenden Wirkmöglichkeiten dieser Projekte.

Foto: IRKS/F. Steigmann

Lebendige Demokratie im Garten

Gemeinschaftsgärten zeigen sich als Orte, an denen Demokratie nicht nur aus der Nähe er- und gelebt, sondern v.a. auch gelernt werden kann. Gerade in von der Zivilgesellschaft initiierten und getragenen Gärten entstehen Organisations- und Entscheidungsstrukturen meist prozesshaft. Soziokratische und konsentorientierte Vorstellungen solcher Strukturen müssen in eine Gartenpraxis übersetzt werden, die von Gärtner*innen mit unterschiedlichen Lebenswelten und (Zeit- und Wissens-)Ressourcen gemeinsam gestaltet wird. Auseinandersetzungen unter den Gärtner*innen und Versuche, theoretische Konzepte und praktische Anforderungen zusammenzubringen, münden in individuelle und kollektive Lernprozesse. Durch diese können auch Selbstorganisations- sowie Beteiligungsfähigkeiten gestärkt werden. Die Forschung zeigt, dass Transparenz über Organisations- und Entscheidungsprozesse und laufende Reflexion von Machtverhältnissen demokratische Strukturen stärken können.

Begegnung als Chance

In Gemeinschaftsgärten verfolgen Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten gemeinsame Interessen. Das geteilte Ziel, Pflanzen zum Gedeihen zu bringen oder Gemüse zu ernten, verbindet und ist eine Chance für ein Miteinander. Die gleichzeitige Anwesenheit der Gärtner*innen (z.B. bei Gartentagen) schafft Begegnungsräume, durch die unterschiedliche Zugänge kennengelernt und Vorurteile und Stereotypen reflektiert werden können. Ein „Wir“ im Garten birgt jedoch auch das Risiko, dass Nachbar*innen oder Nicht*Gärtner*innen im Umfeld zu „den Anderen“ werden. Damit Inklusion nicht zu Exklusion wird, ist es wichtig, die Umgebung, d.h. die (erweiterte) Nachbarschaft, aber auch Verantwortliche auf Gemeindeebene proaktiv einzubinden. Dass Gärten mehr als Orte des gemeinsamen Gemüseanbaus sind, kann dann auch auf einer breiteren Ebene kommuniziert werden.

Für Wirkungen ist entscheidend, welche Form des „Wir“ im Garten gedacht wird, z.B. inwiefern es Gemeinschaftsflächen bzw. -beete gibt oder gemeinsame Aktivitäten stattfinden. Eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der individuellen Gärtner*innen zur Gartengemeinschaft sowie hinsichtlich der Wirkung und Sichtbarkeit nach außen muss gezielt verfolgt werden und passiert nicht automatisch.

Foto: Ch. Moser

Irritation als Chance

Die Forschung zeigt auch das Potenzial von Gemeinschaftsgärten in Zeiten des Umbruchs oder in Krisen: Gärten können im Kontext von Heimatlosigkeit (z.B. als explizit „interkulturell“ ausgerichtete Projekte), von Leistungsdruck oder aber gesellschaftlichen Krisen (wie der Covid-19-Pandemie), zu geschützten Räumen mit Entfaltungs- und Entspannungsmöglichkeiten werden. Die Lebensqualität kann erhöht, Ressourcen, um mit (individuellen und gesellschaftlichen) Herausforderungen umzugehen, können gestärkt werden.

Immer wieder werden in Gemeinschaftsgärten alternative Wege gegangen oder Lösungen gefunden: Gemeinschaftlich bewirtschaftete Beete erscheinen als Widerspruch zu Eigengärten im dörflichen Umfeld. Diskussionsintensive und Konflikte zulassende Entscheidungsstrukturen auf Augenhöhe lassen sich mit vereinsrechtlich notwendigen Hierarchien oder bisher bekannten Entscheidungskulturen schwer in Einklang bringen. Bisher marginalisierte bzw. unsichtbare Gruppen (z.B. Geflüchtete, Zugezogene, nicht heteronormative Familien etc.) werden sichtbar – nicht nur für die Gärtner*innen, sondern auch für die (erweiterte) Nachbarschaft. Irritationen sind möglich.

Die Forschung zeigt, dass diese produktive Wirkungen entfalten können: Bisher diffuse Unsicherheiten und Ängste (z.B. vor gesellschaftlicher Veränderung, „dem unbekannten Anderen“ etc.) werden greifbar. Eine Auseinandersetzung wird dann nicht nur notwendig, sondern zur Chance. Gärtner*innen, Nachbar*innen, aber auch Politiker*innen sind gefordert, sich mit den Irritationen auseinanderzusetzen und im Umgang mit bisher Unbekanntem mehr „Normalität“ zu entwickeln. Lernprozesse sind möglich, Veränderungen können alltagspraktisch bearbeitet werden.

                                                                                                                               Foto: IRKS/F. Bisanti
IRKS/F. Bisanti

Die Studie konnte zeigen, dass die gelebte Praxis in Gemeinschaftsgärten große Wirkpotenziale hat: Demokratie kann gelernt und gelebt werden. Bildungsprozesse in Gärten reichen über Themen wie Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung hinaus. Annäherungen zwischen unterschiedlichen Lebenswelten sind möglich, ein Miteinander denkbar. Dabei muss jedoch mitgedacht werden, dass soziale Integration innerhalb des Gartens zu Desintegration mit der Umgebung bzw. zu Exklusion der Nicht-Gärtner*innen führen kann. Weitergedacht zeigen Gemeinschaftsgärten gerade auch in Zeiten gesellschaftlicher Transformation großes Potenzial – Transparenz, Reflexion von Macht und Ungleichheiten, der Blick über den Gartenzaun sowie die Erprobung alternativer Modelle des gegenseitigen Umgangs und Wirtschaftens können emanzipatorische gemeinwesenrelevante Wirkungen verstärken.

AutorInnen: Andrea Fritsche (Universität Innsbruck), Christoph Stoik (FH Campus Wien), Hemma Mayrhofer (Universität Innsbruck)

Kontakte und Informationen zum Forschungsprojekt:

https://www.uibk.ac.at/irks/projekte/community-work-s.html

*Das Projekt „community work’s“ wurde im Sicherheitsforschungs-Förderprogramm KIRAS des Bundesministeriums für Finanzen finanziert.